Ver­lust­aver­si­on und ihr Ein­fluss auf Ent­schei­dun­gen

August 15, 2023

Show­no­tes

Die Bedeu­tung der Ver­lust­aver­si­on und wie sie unsere Ent­schei­dun­gen beein­flusst

Ich möchte dich gerne auf ein Gedan­ken­ex­pe­ri­ment ein­la­den – eine Wette:

Stell dir vor, wir machen einen Münz­wurf, bei dem du eine 50:50 Chance hast zu gewin­nen oder zu ver­lie­ren. Dein Ein­satz beträgt 10 EUR. Wenn du gewinnst, bekommst du von mir 10 EUR. Wenn du ver­lierst, zahlst du 10 EUR. Was tust du?

Wenn du zögerst, bist du damit nicht allein, denn ver­mut­lich macht sich hier unbe­wusst die Ver­lust­aver­si­on bemerk­bar. Doch was bedeu­tet das?

Was genau ist Ver­lust­aver­si­on?

Ver­lust­aver­si­on beschreibt die Ten­denz, Ver­lus­te höher zu gewich­ten als Gewin­ne und ist ein wich­ti­ger Bestand­teil der Pro­s­pect Theory, die von den Psy­cho­lo­gen Daniel Kah­ne­man und Amos Tvers­ky in 1979 auf­ge­stellt wurde. Diese Theo­rie besagt, dass Men­schen in Ent­schei­dungs­si­tua­tio­nen oft irra­tio­nal han­deln, beson­ders wenn Unsi­cher­hei­ten eine Rolle spie­len. Daniel Kah­ne­man hat das Ausmaß der Ver­lust­aver­si­on in ver­schie­de­nen Expe­ri­men­ten gemes­sen.

Zum Bei­spiel wurden Teil­neh­mer gefragt, wel­cher nied­rigs­te Gewinn sie brau­chen, um eine 50-pro­zen­ti­ge Wahr­schein­lich­keit eines Ver­lusts von 100 Dollar aus­zu­glei­chen. Die häu­figs­te Ant­wort lag bei 200 Dollar – das Dop­pel­te des mög­li­chen Ver­lus­tes oder das Vier­fa­che der sta­tis­tisch wahr­schein­li­chen Ver­lust­men­ge. In unse­rem Bei­spiel wären es also 20 EUR. Die Ver­lust­aver­si­ons-Rate lag in meh­re­ren Expe­ri­men­ten durch­schnitt­lich zwi­schen 1,5 und 2,5.

Warum ist das für Ent­schei­dun­gen wich­tig?

Die Ver­lust­aver­si­on beein­flusst uns und unsere Ent­schei­dun­gen – ob bei Geld­an­la­gen oder Käufen. Daher ist es gut, wenn du über dieses psy­cho­lo­gi­sche Phä­no­men Bescheid weißt und ein ent­spre­chen­des Bewusst­sein über dessen Ein­fluss auf deine Ent­schei­dun­gen hast. Im Mar­ke­ting nutzen Unter­neh­men häufig das Prin­zip der Ver­lust­aver­si­on, um Kunden zum Kauf zu bewe­gen. Zum Bei­spiel könn­ten sie mit begrenz­ten Ange­bo­ten oder zeit­lich begrenz­ten Aktio­nen arbei­ten, um die Angst vor einem Ver­lust zu schü­ren und Kunden zum Han­deln zu moti­vie­ren.

Bei Inves­ti­tio­nen können Anle­ger oft risi­ko­scheu sein und Chan­cen ver­pas­sen, weil sie Ver­lus­te fürch­ten. Das führt dazu, dass sie mög­li­cher­wei­se nicht in viel­ver­spre­chen­de Pro­jek­te inves­tie­ren, auch wenn die poten­zi­el­len Gewin­ne hoch sind. Bewusst­sein für die Ver­lust­aver­si­on ermög­licht es, ratio­na­le­re Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und sich nicht von emo­tio­na­len Reak­tio­nen und kogni­ti­ven Ver­zer­run­gen der Ver­lust­aver­si­on leiten zu lassen.

Ver­lust­aver­si­on und der Besitz­tums­ef­fekt

Eine wei­te­re Erkennt­nis aus den viel­zäh­li­gen Expe­ri­men­ten rund um die Pro­s­pect Theory ist, dass Per­so­nen Objek­te höher bewer­ten, sobald sie diese besit­zen, im Ver­gleich dazu, wie sie die glei­chen Objek­te bewer­ten, wenn sie diese nicht besit­zen. Lass mich das anhand zwei Bei­spie­le erklä­ren: Expe­ri­ment 1 In einem Raum wurden Stühle auf­ge­stellt und auf der Hälfte der Stühle wurde eine Tasse plat­ziert, auf der ande­ren Hälfte nicht. Dann wurden die Ver­suchs­teil­neh­mer in den Saal gelas­sen.

Die Per­so­nen, die sich auf einen Stuhl mit Tasse gesetzt haben, wurden gra­tu­liert und durf­ten die Tasse als Geschenk behal­ten. Anschlie­ßend wurde ihnen ange­bo­ten, die Tasse zu behal­ten oder zu ver­kau­fen. Sie soll­ten dazu den Preis nennen, für wel­chen sie die Tassen ver­kau­fen würden. Umge­kehrt konn­ten die Teil­neh­mer ohne Tasse einen Preis bieten, den sie bereit wären für die Tasse zu bezah­len. Jetzt kommt das Span­nen­de.

Der Durch­schnitts­preis, welche die Per­so­nen mit Tassen für den Ver­kauf gebo­ten haben, lag bei etwa 7–7,20 EUR. Die poten­ti­el­len Käufer, also die Per­so­nen ohne Tasse, wären im Durch­schnitt bereit gewe­sen ca. 3–3,20 EUR zu bezah­len. Hier zeigt sich deut­lich, wie die Ver­lust­aver­si­on und der Besitz­tums­ef­fet den Wert eines Objek­tes beein­flusst. Expe­ri­ment 2 Ein wei­te­res fas­zi­nie­ren­des Bei­spiel stammt von Dan Ariely, einem Pro­fes­sor an der Duke Uni­ver­si­ty. Wie die meis­ten US-Uni­ver­si­tä­ten hat auch die Duke Uni­ver­si­ty ein eige­nes Bas­ket­ball­team – die Blue Devils. Beson­ders begehrt sind die Tickets für das große Abschluss­spiel der Blue Devils, doch auf­grund der begrenz­ten Kapa­zi­tät des Sta­di­ons sind sie nur schwer zu bekom­men.

Die Stu­den­ten haben die Mög­lich­keit, an einer Lot­te­rie teil­zu­neh­men und fie­bern wochen­lang darauf hin, in der Hoff­nung, dass sie eines der begehr­ten Tickets ergat­tern. Nach der Lot­te­rie führte Pro­fes­sor Dan Ariely mit seinem Team ein Expe­ri­ment durch. Sie kon­tak­tier­ten die Stu­den­ten, die kein Ticket gewon­nen hatten, und frag­ten diese, wie viel sie bereit wären, für ein Ticket aus­zu­ge­ben. Gleich­zei­tig frag­ten sie auch die glück­li­chen Ticket­in­ha­ber, zu wel­chem Preis sie ihr Ticket ver­kau­fen würden. Die Ergeb­nis­se waren über­ra­schend.

Es gelang dem Pro­fes­sor und seinem Team nicht, auch nur ein ein­zi­ges Match zwi­schen Käu­fern und Ver­käu­fern zu finden, da die Preise zwi­schen poten­ti­el­len Käu­fern und Ver­käu­fern so stark abge­wi­chen sind. Die­je­ni­gen, die kein Ticket gewon­nen hatten, waren im Durch­schnitt bereit, etwa 170 US-Dollar für eine Ein­tritts­kar­te aus­zu­ge­ben. Auf der ande­ren Seite ver­lang­ten die glück­li­chen Gewin­ner durch­schnitt­lich satte 2.400 US-Dollar für ihre Tickets.

Nun stellt sich die Frage: Was führte zu dieser beträcht­li­chen Dif­fe­renz von ca. 2.230 Dollar? Es gibt zwei ent­schei­den­de Fak­to­ren, die diese Dis­kre­panz erklä­ren: Der erste Faktor ist der Besitz des Tickets, wel­ches sie als etwas Beson­de­res und Wert­vol­les bewer­te­ten. Der zweite Faktor ist die Angst, das Ticket zu ver­lie­ren. Oder anders gesagt: es beschreibt den Besitz­tums­ef­fekt, der ver­deut­licht, dass die Bewer­tung des glei­chen Objek­tes sich ver­än­dert, sobald es im eige­nen Besitz ist.

Die Emo­tio­nen hinter Ver­lust und Gewinn

Unsere Gefüh­le im Bezug auf Gewinn und Ver­lust sind nicht binär. Das bedeu­tet, dass unsere emo­tio­na­len Reak­tio­nen im Bezug auf Gewinn und Ver­lust nicht auf eine ein­fa­che, zwei­ge­teil­te Weise erfol­gen und impli­ziert, dass unsere Emo­tio­nen nicht nur zwi­schen “posi­tiv” und “nega­tiv” oder “gewin­nen” und “ver­lie­ren” unter­schie­den werden können. Viel­mehr sind unsere emo­tio­na­len Reak­tio­nen kom­ple­xer und können von ver­schie­de­nen Fak­to­ren beein­flusst werden, wie etwa von Kon­text und indi­vi­du­el­ler Wahr­neh­mung.

Wenn du bei­spiels­wei­se 1.000 EUR bei einer Lot­te­rie gewin­nen wür­dest, wür­dest du dich freuen. Aber die Freude über 100.000 EUR wäre noch größer. Aller­dings macht es nur einen gerin­gen Unter­schied, ob du 100.000 EUR oder 101.000 EUR gewinnst. Dieses Phä­no­men führt dazu, dass wir nach einem Ver­lust bereit sein könn­ten, noch mehr Risi­ken ein­zu­ge­hen, da es “eh schon egal ist”, wenn wir bereits einen Ver­lust erlit­ten haben.

Fazit

Die Nei­gung, Ver­lus­te stär­ker zu gewich­ten als Gewin­ne, wurde in ver­schie­de­nen Expe­ri­men­ten und Situa­tio­nen ver­deut­licht. Von Inves­ti­tio­nen bis zum Mar­ke­ting spielt die Ver­lust­aver­si­on eine ent­schei­den­de Rolle bei unse­ren Ent­schei­dun­gen. Wir haben gese­hen, wie der Besitz­tums­ef­fekt und die Emo­tio­na­li­tät hinter Ver­lust und Gewinn unser Denken prägen. Dabei ist es ent­schei­dend, sich der Ver­lust­aver­si­on bewusst zu sein, um fun­dier­te­re Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und emo­tio­na­le Ein­flüs­se zu mini­mie­ren. Ein tref­fen­des Zitat dazu von Daniel Kah­ne­man besagt:

“Ein Mensch, der mit seinen Ver­lus­ten keinen Frie­den geschlos­sen hat, ten­diert dazu, Risi­ken ein­zu­ge­hen, die für ihn ande­ren­falls nie akzep­ta­bel wären.”

Indem wir uns mit der Ver­lust­aver­si­on aus­ein­an­der­set­zen, können wir ver­hin­dern, dass wir uns in Situa­tio­nen bege­ben, die für uns inak­zep­ta­ble Risi­ken bergen. Letzt­lich zeigt uns die Erkennt­nis über die Ver­lust­aver­si­on, wie kom­plex und viel­schich­tig unsere Ent­schei­dungs­pro­zes­se – und wir Men­schen – sind. Wenn du mehr über span­nen­de psy­cho­lo­gi­sche Phä­no­me­ne und Ent­schei­dungs­stra­te­gien erfah­ren möch­test, bleib dran – im Ent­schei­dungs­na­vi­ga­tor Pod­cast & Blog gibt es auch in Zukunft noch viele wei­te­re inter­es­san­te Themen zu ent­de­cken!

Christian Koudela

Entscheidungsnavigator, Autor, Berater & Trainer

Ich will echte Veränderungen ermöglichen und Unternehmen zu einem Ort machen, an dem Wertschätzung für die Leistungen und Kompetenzen aller Beteiligten zum Alltag gehört. An dem die Arbeit Freude und Sinn stiftet – ein arbeitswerter Ort ist. Und nicht nur ein Rettungsanker sein, mit dem du dich immer wieder von einer herausfordernden Entscheidung zur nächsten hangelst.

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