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Führen in Ambivalenz: Wenn es kein klares Richtig oder Falsch gibt
Entscheidungsfindung in Zeiten von Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten
Kennen wir das nicht alle?
Du sitzt in einem Meeting, die Entscheidung liegt auf dem Tisch – und eigentlich ist es gar nicht so, dass du keine Optionen hast. Im Gegenteil: Du hast gleich mehrere. Und alle haben gute Argumente.
Vielleicht stehst du vor Fragen wie diesen:
- Soll ich das Budget strenger zusammenhalten – oder jetzt investieren, damit wir im nächsten Jahr besser starten?
- Soll ich meinem Team mehr Freiheiten geben – oder gerade jetzt auf klare Regeln setzen, damit wir nicht auseinanderdriften?
- Soll ich die Veränderung sofort anstoßen – oder lieber noch warten, bis alle etwas stabiler sind?
Es sind genau diese Momente, in denen es nicht darum geht, zwischen „richtig” und „falsch” zu unterscheiden. Sondern darum, dass beide Seiten ihre Berechtigung haben – und du trotzdem entscheiden musst.
Viele Führungskräfte empfinden diese Situationen als belastend. Sie suchen nach der „einen Lösung”, nach dem klaren Weg, der alle glücklich macht. Doch Ambivalenz funktioniert nicht so. Sie ist Teil moderner Führung: Widersprüche, Spannungen, Mehrdeutigkeiten.
Und genau hier wird Intuition spannend. Denn wenn Daten und Logik uns nicht mehr die Eindeutigkeit liefern, dann brauchen wir einen inneren Kompass, der uns hilft, eine Richtung einzuschlagen – auch wenn sie nicht perfekt ist.
Ambivalenz ist die neue Normalität
Ambivalenz klingt für viele erstmal nach Ausnahmezustand. Etwas, das nur in besonders heiklen Momenten auftaucht – in Krisen, bei großen Transformationen, in schwierigen Entscheidungen. Doch wenn wir ehrlich sind: Ambivalenz ist längst Normalität in der Führung.
Schau dir den Alltag an:
- Wir sollen Kosten sparen – und gleichzeitig Innovation fördern.
- Wir sollen Tempo machen – und gleichzeitig Sorgfalt wahren.
- Wir sollen den Mitarbeitenden Freiraum geben – und gleichzeitig klare Orientierung bieten.
Das sind keine theoretischen Dilemmata. Das sind die täglichen Spannungsfelder, in denen Führungskräfte heute unterwegs sind. Und die Wahrheit ist: Diese Spannungen lösen sich nicht auf. Sie gehören zum System.
Ambivalenz bedeutet: Zwei scheinbar gegensätzliche Optionen sind gleichzeitig richtig. Oder zumindest gleichzeitig plausibel. Und das macht es so herausfordernd – weil wir Menschen nach Eindeutigkeit streben. Unser Gehirn will: Schwarz oder Weiß. Ja oder Nein. Richtig oder Falsch.
Doch die Welt da draußen spielt nicht mehr so einfach mit. Sie ist komplexer geworden, dynamischer, widersprüchlicher. Ambivalenz ist also nicht das Problem – sie ist das Spielfeld.
Und hier kommt Intuition ins Spiel. Denn wenn wir keine klare Datenlage haben, wenn beides stimmig sein könnte, dann brauchen wir einen inneren Kompass. Intuition heißt nicht, blind aus dem Bauch heraus zu reagieren. Intuition heißt, aus Erfahrung, Wissen und Mustern zu schöpfen – auch wenn sie sich nicht in einer Excel-Tabelle abbilden lassen.
Ambivalenz bewusst zu akzeptieren ist der erste Schritt. Und Intuition als Ressource zu nutzen, statt nur auf rational-logische Eindeutigkeit zu warten, ist der zweite.
Typische Reaktionen auf Ambivalenz – und warum sie scheitern
Weil Ambivalenz so unbequem ist, neigen wir dazu, Abkürzungen zu suchen. Und es gibt drei typische Muster, die Führungskräfte dabei an den Tag legen – alle nachvollziehbar, alle verständlich, und trotzdem alle gefährlich.
1. Vereinfachung
“Wir machen’s jetzt einfach so.” Zack – Entscheidung getroffen. Klingt nach Klarheit, bringt kurzfristig Ruhe. Doch langfristig kostet es Vertrauen. Denn das Team merkt: Hier wurde eine Seite einfach ignoriert. Die Spannung verschwindet nicht, sie wird nur unter den Teppich gekehrt – und kommt irgendwann mit doppelter Wucht zurück.
2. Blockade
“Wir warten, bis sich das von selbst löst.” Auch das ist ein Klassiker. Man schiebt die Entscheidung auf, in der Hoffnung, dass irgendwann die Eindeutigkeit von außen kommt. Spoiler: tut sie nicht. Stattdessen entsteht Stillstand, Unsicherheit – und das Team fragt sich: “Warum entscheiden wir eigentlich nichts?”
3. Delegation
“Das soll das Team entscheiden.” Klingt modern und partizipativ. Doch in Wahrheit ist es oft ein Weg, Verantwortung loszuwerden. Teams fühlen sich dadurch nicht empowered, sondern alleingelassen – weil sie spüren, dass es ein echtes Dilemma ist und jemand die Spannung moderieren müsste.
Alle drei Reaktionen sind menschlich. Sie sind fast Reflexe. Aber sie funktionieren nicht. Warum? Weil Ambivalenz sich nicht wegentscheiden lässt. Sie bleibt.
Die eigentliche Führungsaufgabe ist nicht, sie aufzulösen, sondern sie zu gestalten.
Und genau hier braucht es eine andere Haltung: Den Mut, Spannungen auszuhalten, sie transparent zu machen – und dann bewusst den nächsten Schritt zu setzen.
Auch hier spielt Intuition eine Rolle. Denn Ambivalenz verlangt weniger nach der perfekten Lösung – und mehr nach dem Gespür, was im Moment der tragfähigste Weg ist.
Vier Strategien für den Umgang mit Ambivalenz
Du siehst, Ambivalenz ist nicht das Ende von Klarheit – sie ist die Einladung, Klarheit anders zu verstehen. Es geht nicht darum, die eine richtige Lösung zu finden, sondern einen Weg, mit den Spannungen so umzugehen, dass sie dich und dein Team voranbringen.
Ich möchte dir vier Strategien vorstellen, die dir dabei helfen. Alle vier kannst du sofort in deinem Führungsalltag anwenden. Und alle vier haben eines gemeinsam: Sie geben dir Struktur in einer Welt, in der es keine einfachen Antworten gibt.
1. Transparenz schaffen – das Dilemma offen benennen
Viele Führungskräfte haben den Reflex, Ambivalenz im Team gar nicht erst anzusprechen. Sie wollen die Leute nicht verunsichern, also tun sie so, als gäbe es nur eine klare Richtung. Doch die Wahrheit ist: Dein Team spürt die Spannungen sowieso.
Deshalb: Sprich sie offen an. Sag zum Beispiel:
“Wir stehen vor einer Entscheidung, die zwei gute Seiten hat. Beide sind plausibel. Ich erkläre euch, warum wir uns heute für Variante A entscheiden – und warum wir Variante B nicht aus den Augen verlieren.”
Warum wirkt das? Weil Transparenz Vertrauen schafft. Dein Team merkt: Du versteckst nichts, du nimmst die Mehrdeutigkeit ernst. Und du machst deutlich, dass es nicht um absolute Wahrheiten geht, sondern um verantwortbare Schritte.
👉 Hier ist Intuition wichtig: Sie hilft dir, den richtigen Moment zu spüren, wann und wie viel Offenheit das Team verträgt. Zu früh – und es wirkt überfordernd. Zu spät – und es wirkt verschleiernd.
2. Entscheidung mit Zwischenbilanz – temporäre Klarheit schaffen
Ambivalenz bedeutet oft, dass beide Optionen Sinn ergeben. Das heißt aber nicht, dass du endlos im Dilemma bleiben musst. Eine Möglichkeit: Entscheide dich bewusst für einen Weg – aber verknüpfe ihn mit einer Zwischenbilanz.
Beispiel: “Wir setzen die neue Prozessstruktur jetzt um – und prüfen in drei Monaten, ob sie trägt. Wenn nicht, justieren wir nach.”
Das nimmt den Druck raus, “für immer” entscheiden zu müssen. Es schafft Klarheit für den Moment – und Flexibilität für die Zukunft.
Warum wirkt das? Weil Menschen mit Klarheit besser arbeiten können, auch wenn sie nicht endgültig ist. Es ist wie ein Probelauf: Wir committen uns, aber wir halten uns die Option offen, nachzusteuern.
👉 Auch hier spielt Intuition eine Rolle: Sie gibt dir das Gefühl, wann es reicht an Informationen, um den ersten Schritt zu gehen. Nicht alles ist planbar – aber du kannst spüren, wann “gut genug” ist, um in Bewegung zu kommen.
3. Mehrstufige Perspektiven nutzen – Team einbinden, Verantwortung behalten
Ambivalenz lädt dazu ein, verschiedene Perspektiven einzuholen. Doch Achtung: Das heißt nicht, die Entscheidung komplett ins Team zu delegieren. Das wäre, wie wir gesehen haben, ein Weglaufen vor Verantwortung.
Stattdessen: Nutze dein Team gezielt, um das Bild zu vervollständigen. Hol dir 2–3 Perspektiven, die dir neue Blickwinkel eröffnen.
Sag zum Beispiel: “Ich brauche deine Einschätzung aus Kundensicht, und deine aus Prozesssicht. Wir sammeln die Argumente – und dann entscheide ich.”
Das hat zwei Effekte:
- Dein Team fühlt sich ernst genommen und beteiligt.
- Du bleibst klar in der Führungsverantwortung.
Warum wirkt das? Weil Ambivalenz durch Perspektiven reicher wird – aber nicht automatisch klarer. Deine Aufgabe ist, die Stimmen zu integrieren, nicht sie auf das Team abzuwälzen.
👉 Intuition hilft dir hier, zwischen “wertvollem Input” und “Noise” zu unterscheiden. Nicht jede Meinung hat das gleiche Gewicht. Dein innerer Kompass hilft dir, herauszufiltern, was wirklich zählt.
4. Innere Balance – dich selbst ausrichten
Ambivalenz ist nicht nur kognitiv anstrengend. Sie ist auch emotional belastend. Viele Führungskräfte spüren, wie das Hin- und Her zwischen Optionen sie innerlich zerreißt.
Darum ist Selbstführung hier kein Luxus, sondern Pflicht.
- Sorge für kleine Routinen, die dir Halt geben.
- Nutze Sparringspartner:innen oder Coaching, um deine Gedanken zu sortieren.
- Und vor allem: Erlaube dir, dass es nicht die perfekte Lösung geben muss.
Warum wirkt das? Weil dein Team nicht nur deine Entscheidungen sieht, sondern auch deine Haltung spürt. Wenn du innere Balance hast, wenn du ruhig bleibst inmitten der Widersprüche, dann entsteht Vertrauen.
👉 Intuition ist hier fast körperlich spürbar: Dein Bauch, dein Herz, dein Nervensystem sind Sensoren dafür, was für dich stimmig ist. Lerne, darauf zu hören – und nicht nur auf Excel-Tabellen oder PowerPoint-Folien.
Leitgedanken zum Mitnehmen
Ambivalenz wird bleiben. Sie ist keine Störung, sondern Normalität. Darum hier drei Leitgedanken, die du in deinen Führungsalltag mitnehmen kannst:
- Anerkennen statt wegdrücken. Ambivalenz verschwindet nicht, wenn du sie ignorierst. Sie wird nur lauter.
- Klarheit temporär schaffen. Auch eine Entscheidung “auf Zeit” ist wertvoll, weil sie Orientierung gibt.
- Intuition als Ressource nutzen. Sie ist dein innerer Kompass, wenn Logik allein dich im Kreis drehen lässt.
Und vielleicht noch dieser Gedanke: Dein Team erwartet nicht, dass du jede Ambivalenz auflöst. Sie erwarten, dass du sie führst – ehrlich, transparent, mutig. Und manchmal heißt das: Spannungen aushalten, Richtung geben – und gemeinsam unterwegs bleiben, auch wenn es kein klares Schwarz oder Weiß gibt.
Häufig gestellte Fragen zu Ambivalenz in der Führung
Wie erkenne ich, ob ich es mit echter Ambivalenz zu tun habe oder nur unentschlossen bin?
Echte Ambivalenz zeigt sich darin, dass beide Optionen valide Argumente haben und zu unterschiedlichen positiven Ergebnissen führen können. Unentschlossenheit hingegen ist oft ein Zeichen von Vermeidung oder fehlendem Mut zur Entscheidung. Frage dich: Gibt es tatsächlich zwei sinnvolle Wege, oder schiebe ich die Entscheidung nur auf?
Wie kann ich meinem Team die Ambivalenz einer Situation vermitteln, ohne unsicher zu wirken?
Indem du die Ambivalenz als Zeichen von Komplexität und nicht als Schwäche darstellst. Erkläre die unterschiedlichen Perspektiven, zeige die Spannungsfelder auf und mache dann transparent, warum du dich für einen bestimmten Weg entscheidest. Wichtig ist, dass du die Entscheidung mit Überzeugung vertrittst, auch wenn du weißt, dass sie nicht “perfekt” ist.
Wie viel Ambivalenz sollte ich mit meinem Team teilen?
Das hängt vom Reifegrad deines Teams und der Situation ab. Grundsätzlich gilt: Je mehr Vertrauen und je höher die Komplexitätstoleranz im Team, desto mehr Ambivalenz kannst du teilen. Bei Teams in Krisensituationen oder mit hohem Sicherheitsbedürfnis ist es manchmal besser, mehr Klarheit zu schaffen und die Ambivalenz stärker zu filtern.
Kann Ambivalenz auch ein Zeichen mangelnder Führung sein?
Ja, wenn sie als Ausrede genutzt wird, um keine Entscheidungen zu treffen. Der Unterschied liegt in der Haltung: Nutzt du Ambivalenz als Begründung für Nicht-Handeln (“Es ist alles so komplex, wir können nichts tun”) oder als Kontext für bewusstes Handeln (“Es ist komplex, aber wir gehen diesen Weg, weil…”)?
Wie kann ich meine Intuition in ambivalenten Situationen stärken?
Durch bewusste Reflexion, Erfahrungssammlung und Feedback-Schleifen. Führe ein Entscheidungstagebuch, in dem du deine intuitive Einschätzung festhältst und später überprüfst. Suche dir Mentoren oder Coaches, die dir helfen, deine Intuition zu schärfen. Und schaffe dir Momente der Stille, in denen du auf deine innere Stimme hören kannst.
Fazit: Mit Ambivalenz navigieren, nicht gegen sie ankämpfen
Vielleicht nimmst du aus diesem Artikel vor allem eines mit: Ambivalenz ist kein Zeichen von Schwäche. Sie ist ein Zeichen der Realität, in der wir heute führen. Es geht nicht darum, immer die eine richtige Antwort zu haben – sondern darum, Spannungen auszuhalten, Klarheit zu schaffen, wo es möglich ist, und Orientierung zu geben, auch wenn nicht alles eindeutig ist.
Und dabei spielt Intuition eine entscheidende Rolle. Denn gerade wenn Logik und Daten keine endgültige Lösung liefern, ist Intuition dieser innere Kompass, der uns spüren lässt: “In diese Richtung kann ich gehen – auch wenn es nicht perfekt ist.” Das ist keine Bauchreaktion im Affekt, sondern eine tiefe Ressource, die wir als Führungskräfte viel bewusster nutzen dürfen.
Ambivalenz ist kein Feind guter Führung – sie ist der Kontext, in dem sich wahre Führungsstärke zeigt.



